Zur Geschichte der Ruprecht-Karls-Universität

Diether Raff

Bis zu Beginn der 60er Jahre unseres Jahrhunderts, der Zeit, in der in der Bundesrepublik eine Reihe neuer Universitäten gegründet wurden, pflegte man in Universitätsstädten genau zu unterscheiden, ob man eine Universität habe oder eine Universität sei. Daß Heidelberg zu den letzteren zählt, steht außer Zweifel, ist doch die Hohe Schule bei allem inneren und äußeren Wandel, den sie im Laufe der sechs Jahrhunderte ihres Bestehens durchlaufen hat, aus dieser Stadt nicht wegzudenken. Ihr Ruhm überstrahlt den der Burg über dem Neckar, wenngleich auch von dort die ersten Impulse ausgingen und sie mit dem wechselvollen Geschick der hier residierenden Fürsten lange Zeit eng verbunden blieb.

Neben der Prager und Wiener Universität die dritte im alten Reich, ist sie heute die älteste, die auf eine fast ununterbrochene Tradition auf deutschem Boden zurückblicken kann.

Ihre Gründung durch Kurfürst Ruprecht I. im Jahre 1386 verdankt sie einem Ereignis von weltpolitischer Bedeutung: dem kirchlichen Schisma, das, ausgelöst durch die verhängnisvolle Doppelwahl des Jahres 1378, die abendländische Christenheit in zwei feindliche Lager spaltete. Die Zeit der babylonischen Gefangenschaft der Kirche war mit Gregors XI. Übersiedlung von Avignon nach Rom gerade beendet, als die italienischen Kardinäle nach Gregors Tod Urban VI. zum rechtmäßigen Papst wählten. Ihm stellten die Franzosen in Clemens VII. einen zweiten Statthalter Christi entgegen, der wiederum Avignon zur Residenz wählte. Die Folgen waren weitreichend genug. Die deutschen geistlichen und weltlichen Herren erklärten sich für Urban VI., nationale Gegensätze traten so zu den kirchlichen, und das Zentrum universal-abendländischer Bildung, die Sorbonne, verweigerte Studenten "deutscher Nation" die Promotionen. Da überdies kirchliche Einkünfte in das Gebiet schismatischer Obödienz nicht übertragen werden durften, sahen sich die deutschen Studenten und Lehrer ohne Mittel und gezwungen, das ungastlich gewordene Paris zu verlassen.

Ruprecht I. erkannte die Gunst der Stunde. Ihm war als dem ersten unter den weltlichen Kurfürsten in dieser Situation nicht nur die Verteidigung der Reichsinteressen nach Westen zugefallen, sondern er war auch durch sein frühes und entschiedenes Eintreten für den rechtmäßigen Papst wie kein anderer in der Lage, den aus Paris geflüchteten Deutschen Zuflucht und Aufnahme zu gewähren.

Verhandlungen mit der Kurie führten am 23. Oktober 1385 zur Ausstellung der Stiftungsbulle, und am 26. Juni 1386 faßte man im kurfürstlichen Rat den Beschluß, entsprechend der päpstlichen Weisung und den in der Bulle garantierten Privilegien und Pfründen in Heidelberg ein Generalstudium nach dem Vorbild von Paris einzurichten.

Als Organisator der zu eröffnenden Universität hatte Ruprecht den Niederländer Marsilius von Inghen gewonnen - ein konsequenter Verfechter der occamistischen Schule - als einer der bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit galt. Im November 1386 zum Rektor - als einer der bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit galt. Im November 1386 zum Rektor gewählt, bekleidete er dieses Amt durch acht Amtsperioden, von denen eine jede, zu jener Zeit noch auf ein Vierteljahr beschränkt, später auf ein halbes Jahr erweitert und schließlich ab 1522 auf ein ganzes Jahr ausgedehnt wurde.

So bescheiden der Anfang auch war - an der feierlichen Eröffnungsmesse am 18. Oktober 1386 in der Kapelle - an der feierlichen Eröffnungsmesse am 18. Oktober 1386 in der Kapelle zum Heiligen Geist hatten nur drei Magister und wenige Scholaren teilgenommen -, die Neueinschreibungen nahmen rasch zu und die Matrikel verzeichnet am Ende des ersten Jahres schon 579 Namen. Die Zahl der Magister, die bis Ostern auf 16 angewachsen war, erfuhr durch die Abwanderung von 24 Magistern und Bakkalaren aus Prag eine zuzügliche Steigerung. Dort hatte sich das böhmische Nationalgefühl gegen die Überzahl der Deutschen gewandt, die nach einem vorübergehenden Aufenthalt in Wien vor der die Stadt heimsuchenden Pestepidemie flohen. Sie alle lockte nicht nur der Name des Marsilius, vielmehr auch die Tatsache, daß mit der Stiftung dieser neuen Bildungsstätte unter dem Schutze des streitbaren Pfälzers Raum geschaffen worden war, die Lücken im kirchlichen Bildungswesen der Zeit auszufüllen. Wenngleich die hohe Zahl des Anfangs infolge von Pest, Krieg sowie der nun auf deutschem Boden einsetzenden Universitätsgründungen rasch zusammenschrumpfte und vor allem die 1388 ins Leben gerufene Kölner Universität viele Lehrer und Studenten abzog, so pendelten sich die jährlichen Immatrikulationen bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts doch auf etwa 220 ein, eine für Heidelberg mit seinen zwischen 3000 und 4000 Einwohnern immer noch stattliche Zahl.

Für Ruprecht selbst war die mit päpstlichen Pfründen und kurfürstlichen Privilegien ausgestattete neue Universität zunächst von ganz praktischem Interesse. Seine politischen Bestrebungen, die z. T. weitverstreuten Besitzungen des pfälzischen Territoriums abzurunden und zu konsolidieren, bedurften eines geistigen und kulturellen Mittelpunktes, einer Bildungseinrichtung, deren Professoren er sich als Gesandte, Ratgeber und Richter bedienen konnte und die ihm im Dienste seines Landes Juristen und Lehrer ausbildete.

Ganz in diesem Sinne führten die Nachfolger Ruprecht I. den Ausbau der Universität fort, die ihrerseits im fortdauernden Streit der Päpste klar für den römischen Papst eintrat und, wie bereits ihr "zweiter geistiger Vater" und erster Kanzler - gleich Marsilius ein Mann von ungewöhnlichem Ansehen -, sich entschieden allen Versuchen widersetzte, die Kirchenspaltung anders als im "rechtmäßigen Sinne" zu beenden.

Hatte die unbedingte Ergebenheit gegenüber Rom der Universität theologische und konziliare Bedeutung gebracht, so bedingte um die Mitte des 15. Jahrhunderts das Festhalten an dem occamistischen Nominalismus eine Erstarrung des Lehrbetriebs, der Friedrich I. 1452 durch eine der Universität aufoktroyierte Reform zu begegnen hoffte. Gegen den Widerstand der Anhänger der seit 1386 in Heidelberg heimischen nominalistisch- occamistischen Tradition sollte die von Köln vertretene realistisch-thomistische Richtung künftig gleichberechtigt das Lehrangebot der Artistenfakultät bereichern und die Lehrfreiheit den Zugang zu jedem der beiden Wege ermöglichen.

Auch der Geist des Humanismus, der am kurfürstlichen Hofe unter dem gleichen Friedrich Einzug gehalten hatte und unter Friedrichs Nachfolger Kurfürst Philipp von der fürstlichen Residenz mit Johann von Dalberg, Rudolf Agricola, Conrad Celtis, Johann Reuchlin, Johannes Trithemius und Jakob Wimpfeling weit in die deutschen Lande ausstrahlte, wirkte zwar in die Universität hinein, konnte sich dort aber gegen die eingefahrene scholastische Gelehrsamkeit nur schwer durchsetzen. Die Verwüstungen und die Schuldenlast, die der bayrisch- pfälzische Krieg (1503-1507) hinterließ, taten ein übriges. Kein Wunder, daß andere Universitäten, allen voran Basel und Wittenberg, Heidelberg den Rang abliefen.

War der Charakter der Universität bis zu diesem Zeitpunkt noch streng scholastisch und die Hochschule in der Obödienz und Fürsorge des Papstes, so änderte sich dies nun grundlegend, als unter dem Kurfürsten Ottheinrich 1556 Luthers Lehre am Hofe, in der Stadt und in der Universität Einzug hielt. Der kunstsinnige, der Renaissance und dem Humanismus verbundene Fürst reformierte mit Hilfe Melanchthons die Universität, die sich der zur Last gewordenen geistlich-klerikalen Bindungen entledigte und durch die Reform von einer scholastisch bestimmten Korporation zu einer evangelischen Landesuniversität umgestaltet wurde. An die Stelle der einen überlieferten, begründeten, dargelegten und für alle verbindlichen Wahrheit trat der Geist der Kritik und der freien Forschung.

Ottheinrich war es auch, der die unter Pfalzgraf Ludwig III. auf den Emporen der beiden Seitenschiffe der Heiliggeistkirche untergebrachte Universitätsbibliothek durch seinen nimmermüden Sammeleifer vervollständigte und den Ruhm der Bibliotheca Palatina erst eigentlich begründete. Luthers Kleiner Katechismus und sein Deutscher Psalter mit einer Vorrede an den Fürsten - von Ottheinrich zum Druck - von Ottheinrich zum Druck aufgelegt - beschäftigten Theologen und Philologen der Universität - beschäftigten Theologen und Philologen der Universität, an der die verschiedenen vom Fürsten tolerierten Spielarten des evangelischen Bekenntnisses miteinander wetteiferten. Unter Ottheinrichs Nachfolger, dem der Simmerschen Linie der Pfälzer Wittelsbacher entstammenden Friedrich III., der sich 1560 für Calvins Lehre entschieden hatte, vollzog die Kurpfalz den Übergang zum reformierten Bekenntnis. Nun öffnete sich die Universität allen, die ihres Glaubens wegen aus ihrer Heimat vertrieben worden waren. Schweizer, Franzosen, Dänen und Holländer fanden in Heidelberg allein jetzt ihre Lehre vertreten, das als das deutsche Genf zur ersten internationalen Universität auf deutschem Boden wurde und über eine kurze Zeit eine ähnliche Stellung einnahm wie einst Paris. Der Heidelberger Katechismus, nachmals das Bekenntnisbuch aller Reformierten, an dessen Abfassung die Universität maßgebend beteiligt war, trug vollends den Ruf dieser Stadt und ihrer Hohen Schule weit über die Grenzen deutscher Lande in alle Gegenden, in denen die Lehren Calvins Geltung erlangt hatten oder erlangen sollten: in die Niederlande, nach England, Schottland und endlich nach Nordamerika.

Der Dreißigjährige Krieg unterbrach diese Entwicklung jäh. Friedrich V. verlor mit der Schlacht am Weißen Berge Krone und Land. Als der Westfälische Friede der Not und dem Elend des Krieges schließlich ein Ende setzte, standen Stadt und Universität vor dem Ruin. Die kostbaren Bestände der Bibliothek waren als Kriegsbeute dem Papst ausgehändigt worden, die Universität selbst, von 1626-1629 vorübergehend überhaupt aufgehoben, führte von da bis 1649 rekatholisiert ein kümmerliches Dasein.

Erst als am 1. November 1652 der Sohn Friedrichs V., Karl Ludwig, mit einer akademischen Feier und einem Festgottesdienst die Universität neu eröffnete, schien es, als sollte Heidelberg seinen alten Ruf wiedergewinnen. Die Vorlesungen berühmter Gelehrter wie die des Völkerrechtlers Samuel Pufendorf, des Orientalisten Johann Heinrich Hottinger, des Philologen Johannes Freinsheim und des Numismatikers Ezechiel Spanheim, denen der Kurfürst Lehrfreiheit garantiert hatte, füllten erneut die Hörsäle.

Mitten in diesem Aufschwung drohte neuerliches Verderben.Im Verfolg angeblicher Erbansprüche seiner Schwägerin Elisabeth Charlotte, die Karl Ludwig zur Sicherung seines Territoriums dem Herzog von Orléans vermählt hatte, ließ Ludwig XIV. nach dem Tode Karls, des letzten Kurfürsten aus dem Hause Simmern, die Pfalz 1689 und noch gründlicher ein zweites Mal 1693 in Schutt und Asche legen. Stadt und Universität waren nicht mehr. Zunächst in Frankfurt, dann seit 1698 in Weinheim, der Interimsresidenz des Kurfürsten und der Pfälzer Regierung, evakuiert, stand die Universität aufs neue vor ihrem Untergang. Obwohl 1700 wieder nach Heidelberg in provisorische Unterkünfte zurückverlegt, konnte zunächst von einem geregelten Lehrbetrieb keine Rede sein. Der Wiederaufbau selbst vollzog sich - infolge der trostlosen Finanzlage - nur schleppend - infolge der trostlosen Finanzlage - nur schleppend, und erst 1728 erhielt die wiedererstehende Universität mit dem nach dem regierenden Kurfürsten Domus Wilhelmiana genannten Kollegienhaus, der heutigen Alten Universität, ein neues Hauptgebäude.

Zu den materiellen Erschütterungen traten religiöse. Die Pfalz, seit 1685 im Besitz der katholischen Neuburger, erlebte eine verspätete Gegenreformation, die die einst neben Genf und Leiden bedeutendste reformierte Universität den Jesuiten überantwortete. Damit war jegliche Hoffnung auf ein Wiederaufleben einer freien wissenschaftlichen Betätigung zunichte geworden. Von 28 Lehrstühlen - nach den Weisungen der - nach den Weisungen der Ordensoberen besetzt - waren um die Mitte des Jahrhunderts noch ganze vier in protestantischen Händen. Dies - waren um die Mitte des Jahrhunderts noch ganze vier in protestantischen Händen. Dies änderte sich auch nicht, als 1773 nach der Aufhebung des Jesuitenordens den Jesuiten die französischen Lazaristen folgten. So hatte Heidelberg im Jahrhundert der Aufklärung seine einstmals so hohe und geachtete wissenschaftliche Reputation völlig eingebüßt. Überdies hatten die Kurfürsten selbst ein Gutteil ihres Interesses an ihrer Universität verloren, um so mehr, als sie darauf sannen, ihre Mannheimer Residenz, in die sie seit 1720 Hof, Staatsverwaltung, geheime Kanzlei und Garnison verlegt hatten, zu einem geistigen und kulturellen Mittelpunkt auszubauen. Zwar versuchte Kurfürst Karl Theodor (1742-1799) aus dem Hause Pfalz-Sulzbach der Universität durch die Neuerrichtung von Lehrstühlen in der Philosophischen, der Medizinischen und vor allem der Theologischen Fakultät sowie die auf Wunsch der Professoren vorgenommene Verlegung der "Kameral-Hohe-Schule" von Kaiserslautern nach Heidelberg aufzuhelfen, doch konnten weder er noch sein Nachfolger Maximilian Joseph, der noch 1802 Mittel zur finanziellen Sanierung der Hohen Schule zur Verfügung stellte, die Universität aus ihrer intellektuellen Mittelmäßigkeit befreien. Wie vierhundert Jahre zuvor bedurfte es eines epochalen Ereignisses, um die durch Verwüstungen und Zerstörungen der letzten beiden Jahrhunderte in Agonie dahinsiechende Stadt und Universität zu neuem Leben zu erwecken.

Unter dem Ansturm der Sansculotten, der Sturmtruppe der Französischen Revolution, zerbrach das alte Reich, und als Napoleon sich anschickte, die Karte Europas neu zu ordnen, wurde deutlich, daß das pfälzische Stammland der Wittelsbacher rechts des Rheins mit Heidelberg und Mannheim dem Badener Karl Friedrich zugeschlagen werden würde. Zunächst Kurfürst, dann ab 1806 Großherzog von Napoleons Gnaden, machte sich der aufgeklärte Lutheraner ans Werk, sein zusammengestückeltes Land zu einem organischen Staatsgebilde zu formen. Im Zuge dieser Neuordnung erließ er 1803 das 13. Organisationsedikt, das u. a. auch die Universität Heidelberg als "Hohe Landes-Schule" bestätigte, sie als Staatsanstalt aus Mitteln des Fiskus neu dotierte und die oberste Leitung dem Landesherrn und seinen Nachfolgern als dem "Rector Magnificentissimus" vorbehielt. Die noch verbliebenen körperschaftlichen Rechte nahm der aus der Mitte der Ordinarien gewählte Prorektor wahr.

Zusammen mit der Stiftungsurkunde vom 1. Oktober 1386 darf dieses 13. Organisationsedikt mit Fug und Recht als neuerlicher Stiftungsbrief für die restaurierte Rupertina gelten, die seitdem sinnvoll genug in dem Doppelnamen Ruperto-Carola die Würde der ältesten mittelalterlich privilegierten Schule Deutschlands mit der Herausforderung verbindet, der sich die moderne vom Staat getragene Forschungs- und Lehrstätte täglich aufs neue zu stellen hat.

Die Lehrfreiheit bildete von nun an die Grundlage des Unterrichts. Deutsch wurde für die Mehrzahl der angebotenen Fächer zur Unterrichtssprache. An Stelle der Fakultäten traten vorübergehend die Sektionen, die, ausreichend mit Lehrstühlen versehen, das Generalstudium rationalistisch ordneten. Die zunächst auf jährlich 40 000 Gulden festgesetzte, dann mehrfach erhöhte materielle Ausstattung und die institutionelle Neuordnung schufen die Voraussetzung, das Wesentliche anzugehen: die Besetzung der Professuren. Und hier zeigte der erste Minister des Großherzogtums und der Erbauer des neuen Staates, Sigismund von Reitzenstein, frei von aller kirchlichen und bürokratischen Enge eine glückliche Hand. Der Philologe Friedrich Creuzer, seit 1800 Professor in Marburg, durch seinen Freund, den Theologen Karl Daub, vermittelt, folgte als erster bedeutender Gelehrter dem an ihn ergangenen Ruf.

Als nächste wurden aus dem Marburger Freundeskreis Creuzers der Theologe und Pädagoge Friedrich Heinrich Christian Schwarz, der zusammen mit Daub für die seit 1821 in Baden verwirklichte Union von Reformierten und Lutheranern eintrat, und der junge Jurist Karl Friedrich von Savigny berufen. Wenngleich Savigny sich auch versagte, so erweckten die von ihm mit Reitzenstein geführten Verhandlungen doch die Aufmerksamkeit seines Schwagers Clemens Brentano, mit dessen Einzug in die Stadt sich die Romantik in den Mauern Heidelbergs zu entfalten begann. Zusammen mit seinem Freunde Achim von Arnim ließ er in "Des Knaben Wunderhorn" altes deutsches Volksgut lebendig werden, die eigene und die Lyrik seiner Freunde inspirierend. Joseph von Görres, Friedrich Hölderlin, Joseph von Eichendorff und Jean Paul entdeckten und priesen mit ihnen Stadt und Schloß über dem Neckar und die sie umgebende unvergleichliche Landschaft. Johann Wolfgang von Goethes großes Altersgedicht, der West-Östliche Divan, findet hier "innere Mitte und letzte Durchglutung" (Benz). Die Brüder Boisserée sammelten Denkmäler alter deutscher Kunst, auf dem Schloß begann der französische Emigrant Graf Graimberg seine Arbeit zur Rettung der Ruine und der Vatikan gab die wertvollen deutschen, aber auch einige der lateinischen und griechischen Handschriften aus der knapp zweihundert Jahre zuvor entführten Bibliotheca Palatina zurück.

All dies wirkte befruchtend auf die Universität und empfing von ihr Anregung und Förderung.

Besonders bedeutsam war der Aufschwung der Juristischen Fakultät, in die Georg Arnold Heise, Johann Ludwig Klüber, Anton Friedrich Justus Thibaut, Christoph Reinhard Dietrich Martin, Karl Salomo Zachariae und später Karl Joseph Anton Mittermaier, Karl Adolf von Vangerow, Bernhard Windscheid, Robert von Mohl und Johann Kaspar Bluntschli einzogen. Die Theologische Fakultät konnte die Professoren Heinrich Eberhard Gottlob Paulus und Richard Rothe gewinnen, die Philosophische Jakob Friedrich Fries, Friedrich Wilken, August Böckh, Johann Heinrich Voß, von 1816 bis 1818 Georg Wilhelm Friedrich Hegel und in den vierziger Jahren die beiden Schüler Friedrich Christoph Schlossers, Ludwig Häusser und Georg Gottfried Gervinus, die Medizinische Jakob Fidelis Ackermann, Franz Karl Nägele, Friedrich Tiedemann, Maximilian Joseph von Chelius und Friedrich August Benjamin Puchelt. Thibaut erließ 1814 seinen berühmten Aufruf zur Schaffung eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuches, Häusser gründete 1847 mit Gervinus die "Deutsche Zeitung", und Häussers Nachfolger Heinrich von Treitschke begann in den entscheidenden Jahren der Reichsgründung, in Heidelberg seine "Deutsche Geschichte" zu schreiben.

Damit war, namentlich von Juristen und Historikern getragen, in Heidelberg jene besondere Form des süddeutschen Liberalismus entstanden, die unmittelbar in die Politik eingriff und Studenten und Professoren gleichermaßen in ihren Bann schlug. Hatten bereits 1832 dreihundert meist burschenschaftlich organisierte Heidelberger Studenten am Hambacher Fest teilgenommen und ein Jahr darauf zusammen mit Kommilitonen anderer Universitäten die Frankfurter Hauptwache erstürmt, so reihte sich ein Teil von ihnen während der badischen Revolution zum Kampf um die Änderung der Reichsverfassung in die Studentenlegion ein. Von den Heidelberger Professoren saßen vier in der Frankfurter Nationalversammlung, und in den zwei Jahrzehnten vor 1871 machten die Liberalen die Universität "zur Hauptträgerin des kleindeutsch orientierten Einheitsgedankens in Südwestdeutschland" (Wolgast).

Bahnbrechende Arbeiten auf dem naturwissenschaftlichen Sektor dankt die Universität in den sechziger Jahren jenes Jahrhunderts dem Dreigestirn Robert Wilhelm Bunsen, Gustav Robert Kirchhoff und Hermann Helmholtz. Bunsen entdeckte zusammen mit Kirchhoff die Spektralanalyse, die der naturwissenschaftlichen Forschung neue, in die Zukunft gerichtete Wege eröffnete, und Helmholtz wurde der Schöpfer der physiologischen Optik und Akustik, der wissenschaftlichen Theorie der Ton- und Farbempfindungen und der modernen Elektrizitätstheorie.

Als dann die Universität im August des Jahres 1886 unter lebhafter Teilnahme des ganzen Reiches ihre Fünfhundertjahrfeier glanzvoll beging, trat der geistige Ruhm und Rang Heidelbergs ins allgemeine Bewußtsein.

Entsprechend dem raschen wirtschaftlichen Aufstieg nach der Reichsgründung hatte sich die Universität auch räumlich erweitert. Neue Universitätseinrichtungen wie Seminare und Institute mit eigenem Etat, eigener Bibliothek und eigener innerer Gliederung entstanden innerhalb der vier Fakultäten, die nach Teilung der Philosophischen Fakultät 1890 um eine fünfte - die Naturwissenschaftlich-Mathematische Fakultät - erweitert - die Naturwissenschaftlich-Mathematische Fakultät - erweitert wurden. Die Zahl der Studierenden wuchs ständig und wies seit dem letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts erstmals auch weibliche Studenten auf. Der Zustrom ausländischer Studenten schließlich, insbesondere aus den angelsächsischen Ländern, aber auch aus Polen, Rußland, Ungarn und Frankreich unterstrich Heidelbergs Weltoffenheit und Weltverbundenheit.

Bedeutende Forscher und Lehrer wie die Juristen Ernst Immanuel Bekker, Georg Jellinek, Karl von Lilienthal, Alexander Graf zu Dohna, Gerhard Anschütz, Gustav Radbruch, Eberhard von Kuenssberg, Heinrich Mitteis und Walter Jellinek, die Naturwissenschaftler und Mediziner Victor Meyer, Theodor Curtius, Georg Hermann Quincke, Philipp Lenard, Leo Koenigsberger, Otto Bütschli, Heinrich Rosenbusch, Max Wolf, Vinzenz Czerny, Wilhelm Erb, Ferdinand Adolf Kehrer, Albrecht Kossel und Ludolf Krehl, die Philosophen, Theologen, Historiker, Geographen, Philologen, Musik- und Sozialwissenschaftler Wilhelm Windelband, Ernst Troeltsch, Erich Marcks, Hermann Oncken, Karl Hampe, Henry Thode, Alfred Hettner, Erwin Rohde, Johannes Hoops, Friedrich Gundolf, Philipp Wolfrum, Max Weber, Eberhard Gothein und Alfred Weber wirkten weit über Heidelberg hinaus. Mitten in der Blüte setzte nationale Selbstüberschätzung das Erreichte aufs Spiel. Vergeblich hatte Kuno Fischer die Fürsten, die zur Säkularfeier in die Heiliggeistkirche gekommen waren, bei seiner Festrede eindringlich vor einer "schicksalhaften Zukunft, die vielleicht neue Weltstürme entfesselt", gewarnt. Und in der Tat beendete der Ausbruch des Ersten Weltkrieges die glanzvolle Periode des geistigen und materiellen Reichtums, und Niederlage und Zusammenbruch von 1918 sollten dem neuen Jahrhundert ein anderes Gesicht geben.

Die materiellen Schwierigkeiten, die die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg kennzeichneten, wogen gering gegen die geistige Isolierung, in der sich die Universität unmittelbar nach Beendigung des Krieges befand und aus der sie sich nur langsam befreite.

Wie überall in Deutschland herrschten zunächst Ungewißheit und Unsicherheit. Die neue Staatsform der Republik, die - nur von wenigen gewollt, von niemandem erkämpft - den Deutschen zugefallen war - nur von wenigen gewollt, von niemandem erkämpft - den Deutschen zugefallen war, betrachtete die Mehrheit der in ihrem Selbstverständnis empfindlich getroffenen Heidelberger Professoren als Resultat des verlorenen Kampfes. Eine Minderheit allerdings - die liberale Heidelberger Tradition und den von Max Weber - die liberale Heidelberger Tradition und den von Max Weber und Stefan George im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts geprägten Heidelberger Geist fortsetzend - war - war bereit, den geistigen Freiraum, den die Republik verfassungsmäßig garantierte, zu nutzen. In der "Vereinigung verfassungstreuer Hochschullehrer", dem Weimarer Kreis, zusammengeschlossen, bekannten sich diese vornehmlich der Juristischen Fakultät und dem Institut für Staats- und Sozialwissenschaft Alfred Webers zugehörigen angesehenen Wissenschaftler zu dem jungen demokratischen Staat und trachteten danach, ihre Gesinnung im Bewußtsein ihrer politischen und wissenschaftlichen Verantwortung auch zu manifestieren. Ihnen dankte die Universität das Bild, das die deutsche Öffentlichkeit sich bis in die dreißiger Jahre von ihr machte und das, wenngleich durch das rechtsradikale und antisemitische Verhalten des Physikers Lenard sowie durch die Auseinandersetzungen um den Pazifisten Emil Julius Gumbel zeitweilig getrübt, nach der Erinnerung Carl Zuckmayers das einer fortschrittlichen und geistig anspruchsvollen Universität war.

In ihrem organisatorischen Aufbau unverändert - sieht man vom Wechsel im Rektoramt - sieht man vom Wechsel im Rektoramt, das nach dem Sturz der Monarchie auf den bisherigen Prorektor übergegangen war - blieb Heidelberg wie im 19. Jahrhundert Sommeruniversität. Die Studentenzahlen wuchsen kontinuierlich an - durch die Inflation der Nachkriegszeit bedingt - in weit höherem Maße als vor dem Ersten Weltkrieg auf öffentliche - in weit höherem Maße als vor dem Ersten Weltkrieg auf öffentliche Unterstützung angewiesen waren, wurde die "Studentenhilfe" ins Leben gerufen. Diese Institution, in der Hochschullehrer, Personen des öffentlichen Lebens und Studenten zusammenwirkten, betrieb die Mensa, sorgte für Unterkünfte, vermittelte Werkarbeit und gründete Darlehenskassen. Auch wurde die Raumnot immer drückender. Da machten 1928 amerikanische Stifter, aufgerufen von Jacob Gould Schurman, dem Botschafter ihrer Nation, der seit seiner Heidelberger Studienzeit der Stadt und ihrer Universität eng verbunden war, der Universität ein neues Auditoriengebäude zum Geschenk. Diese "Neue Universität", deren Fassade eine von Karl Albiker geschaffene Pallas Athene und die auf Vorschlag Gundolfs gewählte Inschrift "Dem lebendigen Geist" schmückten, ermöglichte zusammen mit einer Reihe anderer, über die ganze Stadt verstreuter Gebäude der Universität schließlich, die ihr zugewachsenen Aufgaben zu erfüllen.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann der dunkelste Abschnitt in der Geschichte der Ruperto-Carola. Der lebendige Geist erstickte, und nach den Worten von Ludwig Curtius zählte Heidelberg nach 1933 zu der Ruine seines Schlosses auch die seiner Universität. Wenngleich viele der national- konservativen Professoren im Gegensatz zu der Mehrheit der seit 1931 vom Nationalsozialistischen Studentenbund beherrschten Studenten das Heil nicht von den Nationalsozialisten erwarteten, so führte doch die unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise und der wachsenden innenpolitischen Radikalisierung aufkommende allgemeine Krisenstimmung zu einer Abkehr von den Vernunftwerten und zu der Bereitschaft vieler Hochschullehrer, den Nationalsozialisten jenen Kredit einzuräumen, den sie den Republikanern bislang versagt hatten. Als dann jedoch die neuen Machthaber ihre Herrschaftspraxis mit der Vertreibung der rassisch und politisch mißliebigen Mitglieder des Lehrkörpers einleiteten, war die Anpassung soweit fortgeschritten, daß bis auf wenige Ausnahmen eine entschiedene Reaktion auf die behördliche Ausgrenzung von Minderheiten ausblieb, der bis 1939 36 % der Ordinarien und 21 % der a. o. Professoren und Privatdozenten zum Opfer fielen. Praktizierte die nationalsozialistische Führungsspitze der Universität die unerbittliche Exekution der Anordnungen von Partei und Staat, so sahen diejenigen, die sich diesem Vorgehen innerlich verweigerten, "bereit zur schuldvollen Passivität" - wie Karl Jaspers es formulierte.

Auch unter der gleichgeschalteten, der sportlichen Erziehung, dem Arbeitsdienst und in den sogenannten Kameradschaften der ideologischen Überprüfung unterworfenen Studentenschaft setzten Säuberungen ein. Der Anteil der jüdischen Studenten wurde drastisch vermindert. Waren im Sommersemester 1933 in Heidelberg noch 180 jüdische Studenten immatrikuliert, so waren es im Wintersemester 1936/37 nur noch 24, die allerdings ihr Studium nur unter erheblichen Einschränkungen und Schikanen fortsetzen konnten. Desgleichen exmatrikulierten die Nationalsozialisten 1933 auch solche Studenten, die sich in den letzten Jahren der Weimarer Republik angeblich "volks- und staatsfeindlich" verhalten hatten. Darüber hinaus wurden die Studentenzahlen insgesamt stark reduziert. Während des Krieges, als wiederum vermehrt Zulassungen ausgesprochen wurden, füllten dann verwundete und zum Studium insbesondere der Medizin freigestellte Soldaten sowie vor allem Frauen die Hörsäle. Das geforderte Engagement in den einzelnen NS-Organisationen empfanden die meisten dieser Studenten jetzt allerdings nur noch als lästige Pflicht.

Die Wissenschaftsfreundlichkeit des Systems in der jeder Wahlmöglichkeit entkleideten, nach dem Führerprinzip organisierten Universität sollte die 550-Jahr-Feier demonstrieren, die das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda 1936 unter reger ausländischer Beteiligung als Reichsangelegenheit mit großem Pomp veranstaltete. Entsprechend der geänderten Inschrift über der Neuen Universität galt die Feier "Dem deutschen Geist" - wenn auch unausgesprochen - den Versuch des Antisemiten und Nationalsozialisten Philipp Lenard - den Versuch des Antisemiten und Nationalsozialisten Philipp Lenard, Heidelberg zum Zentrum einer deutschen Physik zu machen, ebenso zu rechtfertigen suchte wie das Postulat des Psychiaters Carl Schneider - mit anderen Anhängern der neuen Machthaber nach den ersten Gleichschaltungsmaßnahmen nach - mit anderen Anhängern der neuen Machthaber nach den ersten Gleichschaltungsmaßnahmen nach Heidelberg berufen -, "Achtung und staatsbürgerliche Ehre . . . nach der bewiesenen Verantwortung für die Volksgemeinschaft" zu erteilen, ein Postulat, das nach 1940 die nach Schneiders Urteil dieser Verantwortung nicht gerecht werdenden Kranken seinen Euthanasieaktionen auslieferte.

Der Selbstrechtfertigung der Diktatur und ihrer Rassenpolitik galt auch die Propaganda, die innerhalb der Ausländerferienkurse betrieben wurde. Diese versammelten im Sommer 1936 400 ausländische Studenten aus 26 Nationen in Heidelberg und zogen nach Beendigung der vorübergehenden Schließung der Universität im Jahre 1940 aus den von deutschen Truppen besetzten Gebieten noch über 200 am Erlernen der deutschen Sprache Interessierte in die "schöne, alte Stadt", in der noch im Sommer 1943 Kurse und Begleitprogramme "unter beinahe friedensmäßigen Bedingungen" (Ferienkurstagebücher) abgehalten wurden.

Hatte die Ruperto-Carola den Krieg auch äußerlich unversehrt überstanden, so waren ihre tradierten Werte jedoch am Ende der zwölfjährigen Herrschaft Hitlers zerstört. Nun galt es, Jaspers' säkularisierter Bußformel entsprechend, "Schuld anzuerkennen und anzunehmen und aus geläuterter Gesinnung heraus Leben und Wissenschaft neu zu gestalten" (Wolgast). Zunächst aber wurde die Universität durch die Proklamation Nr. 1 von General Eisenhower am 1. April 1945 geschlossen. Die Alliierten beschlagnahmten die Mehrzahl der Universitätsinstitute, die Neue Universität, das Seminariengebäude, die Universitäts-Bibliothek, den Marstallhof und eine Reihe von naturwissenschaftlichen Instituten. Nicht beschlagnahmt wurden die Alte Universität, alle medizinischen Universitäts-Institute und Kliniken. Die letzteren hatten unter Aufsicht der Militärregierung für die Versorgung der Verwundeten und zivilen Kranken zu sorgen.

Am 5. April 1945 traten dann die Professoren Martin Dibelius, Karl Jaspers, Gustav Radbruch, Alfred Weber, Otto Regenbogen, Karl Freudenberg, Renatus Hupfeld, Karl Heinrich Bauer, Fritz Ernst, Ernst Engelking, Curt Oehme, Walter Jellinek, Wolfgang Gentner und Alexander Mitscherlich zu dem sog. Dreizehnerausschuß zusammen, der das Werk eines geistigen Neuanfangs in Angriff nahm und die Wiedereröffnung der Universität in allen Fakultäten betrieb. Dem Wirken des Dreizehnerausschusses und der Autorität des Philosophen Karl Jaspers und des Chirurgen Karl Heinrich Bauer war es zu danken, daß die Amerikaner bereits dreieinhalb Monate nach Einmarsch ihrer Truppen der Eröffnung der Medizinischen Fakultät zustimmten. Der Lehrbetrieb in der Theologischen Fakultät und in Teilen der Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultät konnte dann im November 1945 zu Beginn des Wintersemesters und der der übrigen Fakultäten ab Januar 1946 wiederaufgenommen werden. Damit half die Ruperto-Carola als eine der ersten Universitäten im Nachkriegsdeutschland der illusionslosen und durch den furchtbaren Krieg ausgebrannten Jugend Verlorenes wiederzugewinnen. Zum Sommersemester 1946 waren auch die im Krieg ausgelagerten 600 000 Bände der Universitätsbibliothek wieder an Ort und Stelle, so daß endlich diejenigen, die eine Zulassung erhalten hatten, ein ordnungsgemäßes Studium aufnehmen konnten.

Daß der Neubeginn der Ruperto-Carola jedoch kein einfaches Anknüpfen an den Zustand der Jahre vor 1933 sein konnte, hatte Jaspers in seiner Rede zur Eröffnung der medizinischen Kurse an der Heidelberger Universität am 15. August 1945 beton.t. Zuviel war geschehen, zu einschneidend war die Katastrophe. Lehrer und Studenten waren andere geworden, ihr Wesen hatte in den 12 Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft eine Umschmelzung erfahren. Sie hatten Blicke in die Realität von Welt und Menschen und sich selbst getan, die sie nicht würden vergessen können. Unter diesen Voraussetzungen mußte die Erneuerung und Läuterung der Universität, ja des Anspruchs ihrer Idee, der Wiedergeburt des Geistes der Wahrheit und Humanität, überhaupt gesehen werden.

Ohne Vertrauen von außen, von seiten der Sieger, war aber die Erneuerung nicht zu schaffen. Es bedurfte ihres Glaubens, daß innerhalb der Universität das Bewußtsein, in der großen geistigen Überlieferung vieler Jahrhunderte zu stehen, zur kritischen Bewältigung der jüngsten Vergangenheit und damit auch zur bereitwilligen Übernahme neuer Verantwortlichkeiten rufen würde.

Seit dem WS 1945/46 war dem Rektor der Universität durch die obersten Behörden der amerikanischen Militärregierung ein Universitätsoffizier zugeordnet worden, der in allen universitätsinternen Angelegenheiten Rektor und Senat freie Hand ließ und versuchte, den nötigen Freiraum zu schaffen, damit akademische Arbeit von neuem möglich würde.

Und in der Tat war die Universität allen Schwierigkeiten zum Trotz über die Selbstaufrichtung hinaus zu konstruktiver neuer Arbeit gelangt. Eines der größten Probleme, das von dem stark dezimierten Lehrkörper und der noch stärker dezimierten Verwaltung zu bewältigen war, war der Massenansturm der Studierwilligen.

Dieses Problem wurde in der Folge immer brennender und führte Mitte der 60er Jahre in die Massenuniversität und zur Umstrukturierung der traditionellen Ordinarienuniversität in die Gruppenuniversität. Der alte Lehrkörper war zu klein, als daß er neben der Forschung die durch die stetig steigenden Studentenzahlen wachsenden Unterrichtsverpflichtungen hätte wahrnehmen können. Der akademische Mittelbau, Assistenten und Räte, übernahm Aufgaben, die bisher allein von den Ordinarien hatten bewältigt werden müssen. Eine immer stärkere Differenzierung und Spezialisierung der Forschungs- und Lehrgebiete sprengten den Rahmen der fünf herkömmlichen Fakultäten und setzten an ihre Stelle zunächst 16, später 18. Staatliche Fürsorge, die in immer stärkerem Maße in Anspruch genommen werden mußte, bedingte eine erhebliche Vergrößerung des Verwaltungsapparates und führte zu nicht unerheblichen Friktionen. Die Universität, den Rest der ihr noch verbliebenen Autonomie verteidigend, intensivierte die Arbeit in ihren Selbstverwaltungsgremien, die allerdings Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre zum Selbstzweck zu werden drohten und teilweise einen geordneten Universitätsbetrieb überhaupt lahmlegten. Der schmerzliche Prozeß der Neubesinnung und Selbstprüfung, der unmittelbar nach 1945 eingesetzt hatte, war noch keineswegs abgeschlossen, als die Suche nach neuen Standorten in den an der Universität tobenden Ideologie-Kämpfen unterzugehen drohte. Das ernsthafte Ringen um notwendige Reformen, das noch Mitte der 60er Jahre die hochschulpolitischen Auseinandersetzungen bestimmte, glitt Ende der 60er Jahre in sinnentleerte ideologische Diskussionen ab. Der Freiraum, den die Universität in der Vergangenheit nur allzu oft bedroht gesehen hatte, mußte erneut vor dem totalitären Anspruch einer radikalen Minderheit gesichert werden, wenn anders Wissenschaft möglich bleiben sollte.

Spezialisierung und Differenzierung der Wissensgebiete und die hohen Studentenzahlen verlangten gleichzeitig nach einer räumlichen Erweiterung und Umgestaltung der Universität. Immer drückender machte sich die Überalterung der naturwissenschaftlichen Institute und der Kliniken und die Raumnot in der Altstadt bemerkbar. Die Pläne für den Ausbau der Universität im Neuenheimer Feld, die bereits vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges begonnen worden waren, wurden energisch vorangetrieben und seit den 50er Jahren Zug um Zug realisiert. Ein moderner Campus nahm die große Zahl der theoretischen Institute der Naturwissenschaften und der Medizin auf, so daß nur mehr die Geisteswissenschaften in den alten historischen Gebäuden der Altstadt verblieben.

Krieg und Nachkriegszeit haben der Ruprecht-Karls-Universität tiefe Wunden geschlagen. Bei der Suche nach sich selbst in einer sie tragenden, sich unruhig verändernden Gesellschaft hat sie das beste Teil ihres reichen geschichtlichen Erbes hinübergerettet. Weltzugewandt wußte sie sich draußen bald wieder Gehör zu verschaffen. Getreu ihrer über dem Portal zur ,Neuen Universität' nun erneut wieder mahnenden und zugleich ermutigenden Devise "Dem lebendigen Geist" stellt sie sich--die Einheit von Forschung und Lehre wahrend--den Aufgaben der Zukunft, ihren alten Wahlspruch "semper apertus" gleichsam übersetzend in unsere Zeit.